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Lebensraum
Ortsprospekt

Von den glücklichen Kühen

Das Klischee von den glücklichen allgäuer Kühen hält sich hartnäckig – dabei nimmt ihre Präsenz selbst in ihrem angestammten Lebensraum, dem Ortsprospekt, stetig ab. Man sieht sie mittlerweile auch tatsächlich immer seltener draußen, auf dem, was einst »Viehweide« hieß, langsam aber eher nur mehr »Grünland«. Hörner haben sie auch immer seltener, denn selbst die Gegner der »Enthornung« fürchten sich vor dem niedrigeren »Wiederverkaufswert«.

Es ist unglaublich, wie sich die Landwirtschaft im Allgäu geändert hat, alleine in den letzten 25 Jahren. Und das in einer Region, die erst im Unterland ein paar ebene Flächen hat. Immer weniger Landwirte mit immer größeren Betrieben und Traktoren. Wirtschaftlich alternativlos, nachvollziehbar auch; selbst für die Plastikboxen-Kälbchenhaltung spricht manches, rein pragmatisches. Ein einzelner kann sich dem nicht widersetzen, das eine gibt das andere – die eine Notwendigkeit schafft die nächste. 

Dumm ist halt nur der eine essentielle Unterschied: in der Landwirtschaft geht es nicht um Maschinen, sondern um die Natur und ihre Lebewesen. Und da haben Effizienz, Margen, Mechanisierung, Optimierung … einfach einen anderen Hintergrund. Was beispielsweise dem Maschinenbau recht ist, muss der Landwirtschaft noch nicht billig sein. Billig sind dummerweise die Lebensmittel, leider möchte man sagen. Denn egal wie und wo, einer bezahlt immer die Zeche, die Differenz. Der eine spart, der andere kann von seiner Arbeit nicht leben, oder, um zur Landwirtschaft zurückzukommen, ist die Kuh die Dumme.

es ginge schon
auch anders

In der Ruhe liegt die Kraft –
über Tourismus-Werbung im Allgäu

Markt, Vermarkten, Marketing – das alles wird nicht einfacher, wenn eine Landschaft, ein Dorf oder eine Region zum »Produkt« wird. Schaut man sich den »Ortsprospekt«, dieses klassische, viele jahrzehnte alte Medium als Indikator und Essenz touristischer Visualität an, bietet sich ein Bild scheinbarer Vielfalt. Spätestens beim zweiten Blick aber zeigen sich visuelle Stereotype, Klischees in Wort und Bild. Gnadenlos bunt und glücklich geht es zu. Zumindest in der Werbung. Von all den Senioren in beigen Windblousons keine Spur.

Nach der eher weinroten Phase auf den Titelseiten scheint jetzt Blau dominant, gerne kombiniert mit einem hellen Maigrün oder Gelb. Meist prangt das blaue Allgäu-Quadrat auf nicht weniger blauem, wolkenlosen Himmel und neuerdings trauen sich einige sogar, kleinere Flächen weiß zu belassen. Auf den Bildern: Berge, Kinder, Kühe und glückliche Wanderer. In der Landschaft sind dagegen umgekehrt proportional immer weniger Kühe zu sehen. Die stehen jetzt in Windställen bzw. PV-Kraftwerken als Schattenseiten der Energiewende. Ohnehin kaufen nicht wenige Gastronomen ihre (H-)Milch aus fernen Landen im nahen Discounter – und wundern sich vielleicht, dass man doch wirklich immer weniger Vieh auf den Wiesen sieht. Man käme da recht schnell in die (wunderbar!) lakonisch-ketzerische Tonalität eines Günter Herburgers, der 1973 im damals noch kritischen Merian von der »Verführerischen Optik einer Landschaft« sprach und zu jener Zeit bereits eine Übernutzung der Landschaft sah. Viel hat sich getan zwischenzeitlich im Bemühen, es den Tirolen und anderen touristischen Konkurrenten gleichzutun, mit ihnen gleichzuziehen – um nicht selten dann die gleichen Fehler zu machen. Man wird sehen, ob in einer immer-alles-erreichbaren Welt nicht gerade die Ruhe irgendwann die wertvollste Ressource sein wird. Wenn sich die dann noch finden lässt.

Betrachtet man die vielen Ortsprospekte, könnte man meinen, das Allgäu habe ähnliche Niederschlagswerte wie die Arabische Halbinsel. Auf den Bildern fällt kein Tropfen Regen – ein Wunder geradezu, wie es überall grünt und blüht, der Sonne gewissermaßen zum Trotze. Klar, man will dem potenziellen Gast die schönen Seiten zeigen, zur Not auch mit bewusster Weglassung von weniger Reizvollem. Man landet damit schnell bei Fragen wie: Muss Werbung ehrlich sein? Wann wird die Auswahl, das Ausblenden Täuschung? Und hat dies nicht längst für Misstrauen gerade dem (scheinbar) Perfekten gegenüber gesorgt? Fühlt man sich ernst genommen, wenn – dies betrifft eher das Standortmarketing – im Stoiberschen Gestus »Laptop und Lederhose« konstruktiv koexistieren und auf Bergwiesen junge Menschen mit ihrem Notebook sitzen? 

In Oy-Mittelberg hatten wir jedenfalls zum ersten Mal Gelegenheit eine »richtige« Ortsbroschüre zu gestalten. Schon im Angebot wiesen wir auf die fehlende Tourismuserfahrung hin – und die Chance darin. Wir warnten: es würde furchtbar anstrengend. Keine einfachen Antworten, nur schwierige Fragen hatten wir und erhielten den Zuschlag. Zwei Workshops durften wir veranstalten, mit Einheimischen, Kommunalpolitikern, Gastronomen, Hoteliers, Gewerbetreibenden, Landwirten … reflektieren und diskutieren. Die Einsicht gewinnen lassen, die Unterschiede zu den anderen Orten sind nicht so groß – und zu widerstehen, wie alle allen alles anzubieten. So entstand der Fokus »Wandern«, und dies eben »zu jeder Zeit«. Das entstandene Büchlein sollte vor dem Urlaub inspirieren, planen helfen, vor Ort dann praktischer Begleiter sein und danach Erinnerung, vielleicht Notizbuch. Daraus leitete sich das handliche Format ab. Die Farbigkeit war ein weiterer wichtiger Aspekt: keine überbunten Bilder! Und: Auf den Fotos nur Einheimische aus Oy-Mittelberg – keine »Models«, keiner bekam Geld. Geordnet nach Jahreszeiten steht das Wandern über allem, verbunden mit konkreten Tipps (wie die Lieblingsrunden einiger aus dem Ort), Adressen, Hinweisen. Und auf einer Doppelseite durfte es sogar regnen. Wunderbar! Auf Seite drei des Büchleins wird übrigens von Hand der Name des Empfängers eingetragen.

Eine ökologische Umsetzung des Projektes war von Beginn an berücksichtigt, also zertifiziertes Papier, klimaneutraler Druck, Herstellung in der Region etc. Mit bedacht wurde aber auch der Versand – für den haben wir die Luftpolsterhülle neu interpretiert. In einem Recyclingkarton liegt die Broschüre in duftendem Bergwiesenheu. Einige Damen aus dem Ort unterstützen die Tourist-Info und falzen die Kartons. Ach ja, auch die Anzeigen der Gastgeber werden wieder von den Mitarbeiterinnen »TI« selbst akquiriert. Das Ergebnis: eine beträchtliche Einsparung bei den Kosten, deutlich mehr Nachfrage und eine höhere Akzeptanz. Als die Broschüre von Oy-Mittelberg erschien, bekamen die Zuständigen dort, wie auch wir immer wieder zu hören, wie mutig dieses Konzept sei. Das stimmt irgendwie ja schon, eigentlich aber, so dachten wir, ist es vielmehr geradezu todesmutig, mit all den Massen bunten Papiers im DIN A4-Aktenformat und blauem Himmel konkurrieren zu wollen.

Das führt zu einer grundsätzlichen Frage – wie viel Eigenständigkeit darf oder soll eine Gemeinde im Allgäu (heute noch) an den Tag legen, entwickeln, pflegen? Freilich ist es wichtig und richtig, dass sich das Allgäu als gemeinsame Destination, gerne auch als Marke präsentiert, die Region damit im Ganzen stärkt und repräsentiert. Wie weit das allerdings gehen kann und soll, darüber lässt sich trefflich streiten. Denn irgendwie ist es ja auch kein Zufall, dass sich dieses Allgäu noch nicht einmal regional-topografisch fassen lässt. Für den einen endet es spätestens mit Kempten, andere haben kein Problem damit, auch Mindelheim und Bad Wurzach dort zu sehen. Vielleicht ist diese Nicht-Greifbarkeit sogar ein Merkmal genau dieser Region: Das nicht definiert sein. Und deshalb mit einem gewissen Unbehagen vor allzu viel Destinationsentwicklung, Branding und Erlebnisraumdesign. Früher kam man nicht ohne Zoll zu zahlen von Sonthofen nach Immenstadt – definitiv kein erstrebenswerter Zustand, aber vielleicht Ausdruck und Herkunft einer damit entstandenen ebenso kleinteiligen Identität. Wie sich auch der Dialekt von Bad Hindelang und Hinterstein leicht unterscheidet. Und hat nicht gerade die Vielfalt einen Wert? Einen, den man nicht zu nivellieren und vereinheitlichen braucht? Kann nicht Region und Ort »getrennt miteinander«. Das Schöne am Allgäu ist doch gerade seine Vielfalt und Differenz. Soll die nicht sichtbar bleiben?

Ein – verstärkt durch die Dimension und Ir-/Reversibilität – problematischer Aspekt ist sicherlich das »Tuning« der Landschaft. Eben nicht mehr nur durch fotografische Mittel, sondern im realen Raum, im Lebensraum (und nicht nur dem der Menschen). Der wird zusehends ein erweitertes Feld des Marketings. Alles soll Event, Emotion, Erlebnis und Fun sein. Man muss manchmal geradezu froh um die endlichen Mittel der Kommunen sein. In der »ZEIT« war unlängst sogar von Nesselwangs Plänen der Eventisierung der Alpspitze zu lesen. Reicht ein Berg nicht mehr? Die Aussicht? Die Natur? Von einer der immer gleichen raumschiffartigen Liftstation führt eh schon eine Bahn hoch, eine Sommerrodelbahn hinunter. Skifahren kann man im Winter bei Tag und Nacht, ob mit oder ohne vorangehenden Schneefall.

Die Kraft der Landschaft war ein zentraler Aspekt beim Lechweg. Für dessen visuelles Erscheinungsbild, Austattung und Serviceheft, aber auch Online-Portal und Möblierung etc. wir beauftragt wurden. Unser Ziel dabei war: einen Beitrag zu leisten, dass sich ein nachhaltiger, sanfter Tourismus entwickeln kann. Auch dort brauchen die Bewohner eine ökonomische Perspektive. Was droht, wenn diese fehlt, darüber schreibt beispielsweise Werner Bätzing eindrucksvoll. Den ökonomischen Aspekten stehen hier – in einer der letzten Wildflusslandschaften in Europa – ganz elementar ökologische gegenüber. Die Mechanismen des Marktes können hier durchaus dienlich sein: Mit dem Angebot kann man eine (bestimmte) Nachfrage schaffen. Das ist auch Aufgabe der Gestaltung. Die sollte reduziert, leise, zurückhaltend sein, das Kontemplative und eben diese Kraft der Landschaft spürbar machen. Verglichen mit anderen Weitwanderwegen eine weit weniger bunte, laute und »werbliche« Darstellung. Die Botschaft aber wird genau dadurch subtil vermittelt – und wird von denen wahrgenommen, die diese Bedürfnisse haben. Und das sind viele! Bereits im ersten Jahr war die Resonanz groß, die Nachfrage weit höher als erhofft.

Damit stellt sich durchaus die Frage: Wo führt die Entwicklung hin? Und wo könnte sie hinführen? Ruhe ist ein rares Gut und offensichtlich ein recht gefragtes. Es gibt ja schon all die alpinen »Bespaßungseinrichtungen«. Muss man da unbedingt mitmachen? Diese Fragen haben elementare Bedeutung: Wir legen heute den Grundstein für die Entwicklungen der kommenden Jahrzehnte. Ökonomisch, touristisch, ökologisch. Und es müsste der letzte gemerkt haben, dass es ein munter bequemes »Weiter so« nicht geben kann. Das Benzin beispielsweise wäre eigentlich ja teuer genug, um zu einer gewissen automobilen Sparsamkeit zu führen. Stattdessen nimmt der Verkehr nicht nur mit jedem Kilometer in Richtung Berge hin zu, sondern auch Jahr für Jahr. Man stellt sich im zähen Fahren durch das Dorf dann die Frage: Und was wäre, wenn jedes Jahr wirklich die ersehnten fünf Prozent mehr Gäste kämen? Immerhin hat im Ostallgäu der Gäste-ÖPNV einen Schritt nach vorn gemacht.

Doch da sind nicht nur die touristischen Akteure und die Politik in der Pflicht. Hoteliers und Gastronomen, Landwirte und Unternehmen. Aber auch die Gestalter – der Name sagt viel aus. Denn Gestaltung, Design, kann weit mehr als Dinge etwas schöner zu entwerfen. Sie kann helfen, neue Strategien zu entwickeln, inhaltlich und formgebend. Diese Dimension geltend zu machen, bewusst zu machen, anzubieten, kann zu völlig neuen Ergebnissen führen. Weit über eine neue Broschüre hinaus. Es geht (zumindest uns) nicht um etwas mehr Umsatz morgen, sondern darum, auch in zwei Jahrzehnten noch eine Existenzgrundlage zu haben. Mit dem vergrößerten Einfluss steigt gleichermaßen die Verantwortung. Auch dazu muss man bereit sein. Das Allgäu ist schön, ist besonders und verdient es sich, auch entsprechend kommuniziert zu werden. Das Authentische und Ehrliche wird seinen Reiz, da bin ich mir sicher, nicht mindern. Im Gegenteil. Ich wünsche dem Allgäu (dessen Grenzen ein jeder selbst sich ziehen kann) jedenfalls mehr als steigende Übernachtungszahlen und gestaltete Erlebnisräume. 

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Es tut so weh

Über das umgreifende, epidemische, großflächige Erscheinen der Tracht – oder vielmehr dem, was offensichtlich ein großer Teil dafür hält – haben sich schon verschiedene Ernst zu nehmende Medien beschäftigt. Es muss hier also kein soziologischer Exkurs ergänzt oder wiederholt werden. Die Welt rückt zusammen, alle sind überall, da die Flieger billig und das Internet mobil. Will man sich seiner offensichtlich notwendiger Wurzeln vergewissern macht man das hierzulande und derzeit gerne mit Dirdnl und Lederhosen. Letztere durchaus auch als hautenge Unterwäsche mit aufgedruckten »All-over-Krachledernem-Druck«. Es ist zum Weinen – das Allgäu macht es einem so schwer, es zu mögen!

Dabei wäre es ja nicht so, dass Tradition, gelebte, echte, nicht ohne Reiz wäre. Wer kennt beispielsweise nicht die wunderbaren Klänge der Alphörer? Wenn die Töne wie ein Tuch im Wind vom Hang herunterwehen – das ist berührend. Ja, berührend, fast physisch und nicht peinlich.