Schreiben an das Bauamt vom 26.10.2015
»Tabula rasa« am Adelharz – ein »offener Brief«
Sehr geehrte Damen und Herren,
am »Adelharz«, an der Staatsstraße 2007 zwischen Kranzegg (Gemeinde Rettenberg) und Wertach, sind zahllose Bäume markiert – auf Nachfrage, wie vermutet, zum Fällen. Bäume, die Lebensraum sind und die unsere Landschaft prägen. Jene Landschaft, von der alle immer behaupten, sie sei das Wertvollste, was wir hier haben. Man darf – auch mit Blick auf die Landwirtschaft, die Architektur etc. – eine wachsende und atemberaubende Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und dem kommunizierten Bild feststellen.
Sicherlich gibt es viele gute Gründe für das Fällen von Bäumen – die Sicherheit, ein nicht angreifbares Argument, freilich ganz zu erst. Als ob nicht das Fahren selbst die eigentliche Gefährdung darstellt! Und wohl bekannt ist auch bei Kritik und Einmischung der Satz: »Wenn Sie das Risiko übernehmen, kein Problem, dann lassen wir die Bäume stehen« – klar, dass dieses keiner kann.
Was dann herauskommt, wenn man in Landschaften »risiko-minimierend« eingreift, sieht man beispielsweise im Wengener Tal, wo man durch die Nähe des Baches eher das Wasserwirtschaftsamt vermutet hätte – dort wurden »Maßnahmen« durchgeführt, die schlimmer aussehen, als nach jeder Naturkatastrophe, die zu vermeiden hier erwartet wurde.
Wie kann es sein, dass Einrichtungen wie ein Wasserwirtschaftsamt und ein Straßenbauamt scheinbar vollkommen frei agieren dürfen? Mein Schreiben an den Weitnauer Bürgermeister wegen dieser Abholzungen leitete er an Ihr Amt mit der Bitte um eine Antwort (an mich) weiter – ich habe bis heute nie etwas dazu gehört. Vor wem muss sich diese Einrichtung eigentlich »nach außen« erklären, rechtfertigen und verantworten?
Warum gibt es bei solchen Maßnahmen wie im Wengener Tal oder am Adelharz keine öffentliche Diskussion, keine Beteiligung, keinen Beirat, der ökologische und kultur-historische … Expertise hat und einbringt?
Es scheinen alle Bäume an Straßen mittlerweile eine unerhörte Gefahr für Leib und Leben zu sein – auf einmal, auch merkwürdig. Und schade, dass es diese »Eigendynamik« nicht bei Nachpflanzungen gibt. Die fallen offensichtlich nicht mehr in das Aufgabengebiet des Straßenbauamtes – und viele Kommunen sehen das auch nicht unbedingt als allzu wichtig an.
Natürlich kann es sein, dass ein Baum krank ist. Aber muss er dann gleich gefällt werden? Und mit ihm vorsichtshalber gleich alle benachbarten Bäume? In Städten wie München werden Bäume weitaus sensibler »behandelt«, hier fällt ein Baum erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Und auch auf dem oberbayerischen Land gibt es einen anderen Umgang mit Bäumen (und der Landschaft). Sind dort die Bedingungen andere, oder haben die Zuständigen einfach nur mehr Rückgrat und übernehmen Verantwortung?
Und seltsam auch, dass bei Stürmen größtenteils die flach verwurzelten Fichten in den Flächen mit Monokulturen fallen und nicht die alten Bäume an Straßen, die vielleicht nur einen Ast verlieren, der dann wiederum ihr Ende markiert. Eine baumgeäumte Straße, ein Dorfplatz mit alten Bäumen, sind Teile unserer Kulturlandschaft. Einer Landschaft, die stark durch die Bewohner und die Nutzung geprägt wurde und die deshalb erhaltenswürdig ist. Eingriffe in dem Ausmaß, wie sie gerade vor sich gehen, sind nicht einfach nur Veränderungen – sie zerstören das Landschaftsbild, wie es sich über Jahrhunderte entwickelt hat.
Die positiven Aspekte der »Straßenbäume«, aber auch der bewachsenen Uferböschungen scheinen vollkommen ausgeblendet zu werden. So sind Bäume und Hecken entlang der Straße zum einen ein natürlicher Schutz vor Schneeverwehungen, zum anderen unterbrechen sie das Licht und verhindern, dass man bei starker Sonne geblendet wird. Sie bilden einen Lebensraum für eine Vielzahl von Lebewesen.
Wenn schon abgeholzt werden muss, dann sollte zumindest über eine Art »Ausgleich« nachgedacht werden. Gerade im Hinblick auf den Erhalt einer Kulturlandschaft, aber auch aus ökologischer Sicht, wäre es angebracht, besonders markante, das Landschaftsbild prägende Bäume durch Neupflanzungen zu ersetzen und erhalten. Diese können dann auch den aktuellen (?) Richtlinien entsprechend etwas weiter von der Straße entfernt gepflanzt werden, um Probleme mit der Versicherung zu vermeiden.
Vermutlich wird man dieses Schreiben aus fachlicher Sicht und mangels Einblick in die verschiedenen Gesetzestexte nicht ernst nehmen, oder lediglich als sinnlose Einmischung und »Aktionismus« betrachten – die Menschen aber, die hier leben (oder Urlaub machen) haben großteils auch nicht die fachliche Expertise, wundern sich aber deswegen nicht weniger über das, was derzeit an Straßen und in Dörfern geschieht. Ich werde mir deshalb auch erlauben, dieses Schreiben als eine Art »offenen Brief« an verschiedene Personen und Institutionen weiterzuschicken, um vielleicht einen Diskurs darüber anzustoßen. Die Hoffnung stirbt ja zuletzt.
Über eine Antwort von Ihnen würde ich mich jedenfalls sehr freuen!
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Koop
ist
weg
Es fallen die Bäume in den Orten und an den Straßen – warum unternimmt niemand etwas dagegen?
Auslöser waren die zahllosen markierten Bäume am »Adelharz«, der Straße zwischen Wertach und Kranzegg (Gde. Rettenberg) – eine weitere große »Maßnahme«, die weithin unkommentiert blieb, keine kritische Zeile irgendwo fand. Dabei kann es doch nicht jedem egal sein, wenn in Orten und an Straßen seit Jahren zahllose Bäume verschwinden.
Blieb ein Schreiben wegen der ähnlich umfangreichen (wertfrei formuliert) Arbeiten im Wengener Tal (Gde. Weitnau) unbeantwortet, gab es auf meinen »offenen Brief«, der an rund 70 Kontakte und öffentliche Stellen etc. ging, wegen der Fällungen am »Adelharz« immerhin eine ausführliche Antwort. Das wohl nicht zuletzt auch, weil viele Menschen wohl beim Bauamt nachgefragt haben – immerhin, das macht doch Hoffnung. Nachfolgend der Briefwechsel: